Matt im Park II – FV Berkersheim I 4,5:3,5

Diesmal begann alles sehr unaufgeregt. Wir fahren mit nur einem Auto bei der AWO los. Alle außer Lehrer Wilke, Walter und mir als Wagenlenker fahren eigenständig zum Spielort und auch Walter kommt schon 5 Minuten nach dem verabredeten Zeitpunkt an, also eigentlich super pünktlich.

Auf der Fahrt findet auch kein Vortrag zum Für und Wider des Theoriestudiums statt, sondern Jörg dirigiert mich (fehlerfrei, was keine Selbstverständlichkeit ist! Großes Lob!) nach Nieder-Erlenbach, wo der Schachclub Berkersheim, der Fußballverein Berkersheim heißt, aber keine Fußballabteilung, sondern nur eine Judo und eine Schachabteilung hat, seine Heimspiele austrägt.

Die Berkersheimer erweisen sich als ausgesprochen angenehme Menschen – nicht, weil sie verloren haben, sondern weil sie eben ausgesprochen umgänglich sind. Ich habe schon gegen wesentlich unsympathischere Mannschaften gespielt.

Wir treffen alle pünktlich ein, nur Geralf kommt ein paar Minuten zu spät, aber dafür ist er bei kaltem Wetter mit dem Fahrrad angereist und erhält Punkte für Sportsgeist! Wie allseits bekannt, war unser Verein am Tag zuvor bei den Bezirks-Blitz-Mannschaftsmeisterschaften mit drei von teilnehmenden sieben Mannschaften angetreten und hatte die Plätze 1,4+6 belegt. Diese Affinität zum Blitzen hielt offenbar bei einigen unserer Spieler auch am Folgetag noch an. Michael, der gegen Neu-Isenburg noch bis 19 Uhr um sein Remis gekämpft hatte, beendete seine Partie siegreich, ohne dass ich auch nur einen Blick hätte darauf werfen können und er blieb danach verschwunden…vielleicht versuchte er ja bei unserer ersten Mannschaft noch auszuhelfen, denn die war bei Offenbach II (ausgerechnet bei Offenbach!) mit nur 5 Spielern angetreten, wovon Gaspare auch noch von uns ausgeliehen war! Sie haben mit 3:5 verloren, was nach mannschaftinterner Arithmetik auf eine 3:2 Sieg hinausläuft.

Links neben mir hackten Herbert und sein Gegenüber ihre Partie ebenfalls im Eiltempo herunter. Auf meinem Brett waren nach einer tempomäßig normal geführten Partie nach knapp 20 Zügen jeweils ein Bauer und ein Springer geschlagen, bei Herbert befanden sich nach der gleichen Zeit etwa die gleiche Anzahl von Figuren noch auf dem Brett…OK, leicht übertrieben, es waren bei jedem Kontrahenten noch ein Springer und ein Läufer, sowie bei Herberts Gegner zwei, bei Herbert aber vier Bauern. Nach dieser Volkszählung notierte ich geistig Herbert als Sieger, ohne tiefer in die Stellung zu schauen. Daher war ich etwas verwundert, als Herbert ein paar Züge später (bei dieser Partie heißt das: Ein paar Sekunden später), seine Mehrbauern wieder los war und sich mit dem Gegner auf Remis einigte.

Rechts neben mir ging von Walter, wie schon die ganze Saison, geballte Zuversicht aus. Immer, wenn ich zu ihm hinüber schaute, strahlte er übers ganze Gesicht wie die Sonne an einem klaren Frühlingstag, sodass ich es mir schenkte, die Stellung zu analysieren. Es kam dann auch zu einem vom Gegner wohl nicht realisierten recht abrupten Ende durch schachmatt zu Gunsten von Walter, der weiterhin durch den Spielsaal strahlte. Es stand nun bereits nach denkbar kurzer Zeit 2,5:0,5 für uns.

Meine Stellung war recht zäh und langweilig. Ein getauschter Bauer und zwei abgetauschte Leichtfiguren, jeweils eine von jeder Sorte. Ein Doppelbauer bei meinem Gegner auf der g-Linie bei kleiner Rochade beider Spieler, aber nicht wirklich einer Chance für mich, auf der h-Linie mit Schaden für den Berkersheimer vorzudringen. Als mein Gegner ein Remis anbietet, willige ich ein. Ein 3:1 bei noch 4 laufenden Partien, von denen aus meiner zugegebenermaßen dilettantischen Sicht Geralf klar auf Gewinn steht, Marcus auf Verlust und die anderen beiden undurchsichtig, kalkuliere ich, dass es am Ende langen müsste. Walter eilt sofort herbei, bestrahlt das Brett mit gleißendem Sonnenschein, äußert aber dergestalt Kritik, dass er die Remisstellungseinschätzung meines Gegners und meiner selbst mit den Worten: „Ihr habt kei‘ Lust mehr gehabt“ wegwischt. Am darauf folgenden Spieleabend lasse ich mich durch unseren Präsidenten Karsten Wanie den Ersten rehabilitieren. Nach seiner Aussage hält die Stellung nur geringfügigste Vorteile für mich bereit und werde unter Großmeistern mit Sicherheit remisiert. So. Basta!

Zu den restlichen Partien: Geralf gewinnt tatsächlich bald darauf problemlos. Er berichtet mir zwar am nächsten Tag, er habe zwischenzeitlich zu knapsen gehabt, aber das muss, als ich mich der Partie zugewandt habe, schon eine Weile her gewesen sein. Ich werde Zeuge einer recht zwangsläufigen Abwicklung zu Geralfs Gunsten. – Da kein Bier im oder in der Nähe des Spiellokals zu erwerben ist, deckt Geralf seinen Vitaminbedarf heute nicht, wie sonst nach einer Partie üblich, mit Gerstensaft, sondern mit Obst!

Nun wurde es eng, denn die drei restlichen Partien sahen mittlerweile alle nach Verlustpartien für unsere Mannschaft aus. Bei Jörg realisierte sich die Befürchtung auch recht flott und ohne die für ihn eigentlich obligatorische Zeitnotphase. 4:2

Marcus hatte recht früh in seiner Partie einen Turm eingestellt und ich hielt es nur für eine Frage der Zeit, bis er aufgibt. Stattdessen verbesserte er aber peu à peu seine Stellung und erreichte tatsächlich noch ein Remis.

Bei Karsten hingegen wurde die Stellung, in der er mir Schwarz eine Eröffnung spielte, von der er nach eigenen Angaben keine Ahnung hatte, sukzessive immer schlechter und war letztendlich nicht mehr zu halten. Als Walter, Jörg und ich bereits ohne die anderen Mannschaftskollegen auf der Rückfahrt in meinem Auto sitzen, berichtet Jörg dann noch, dass sich die 1. Mannschaft im Eckhaus trifft. Da war es aber für die meisten von uns schon zu spät und nur ich, der ich 200m vom Eckhaus entfernt wohne, habe das Lokal als einziger Vertreter der 2. Mannschaft noch aufgesucht und ein Riesenrösti verzehrt, um mein Gewicht halten zu können.

Dirk Wagner hat mich beim Essen mit einigen mit großer Überzeugung vorgetragenen globalen Betrugs-und Verschwörungstheorien zum Thema Fußball unterhalten, die beinhalten, dass nicht nur der Austragungsort der WMs gekauft wird, sondern das Auslosungsverfahren und die Spielergebnisse gleich mit. Es war eine engagierte Ausführung, bei der die nur sehr bruchstückhaft vorhandene kausale Begründungskette durch Emotionen und Standfestigkeit mehr als ausgeglichen wurde!

Die erste Mannschaft klärte mich im Eckhaus ferner darüber auf, dass unsere Mannschaft laut eines Wahrscheinlichkeitsrechners zu 67% aufsteigt. Da habe ich es mit der Angst zu tun bekommen.

Präsident Karsten Wanie der 1. hatte das beim Spieleabend am Montag bereits durch die stille Post erfahren und versicherte mir, dass ich in der Bezirksoberliga auch keine Angst haben müsse. Auch er glich die Begründungen, auf die er weitestgehend verzichtete, durch Unerschütterlichkeit und festen Glauben an die eigene Aussage mit Leichtigkeit aus.

Euer Randolf