MIP 2 / SV FFM Nord 2

Als ich mich zur 5. Runde der Bezirksliga in Richtung unseres Spiellokals begab, war ich für unsere Mannschaft unziemlich verfrüht. Ganze 20 Minuten vor 14 Uhr. Daher beschloss ich, in einem Stehcafe an der Straßenbahnhaltestelle noch einen Espresso zu mir zu nehmen. Als ich dann um 13:50 Uhr Bei der AWO einlief, hatte ich die zugegebenermaßen utopische Hoffnung, es könnte bereits der eine oder andere Spieler meiner Mannschaft eingetroffen sein und sei fleißig am Aufstellen der Figuren. Dem war natürlich nicht so…ich war der erste Anwesende meiner Mannschaft.

Nachdem ich Bretter, Figuren, Uhren etc. herbeigeschleift hatte, erschienen die ersten Mitglieder unserer Mannschaft und die letzten des Gegners. Mein Mannschaftsführer, Jörg, versuchte mich zu überreden, an Brett 7 anstatt Brett 8 zu spielen, weil ich sonst einen Gegner mit einer über 200 Punkte höheren DWZ als ich hätte. Ich lehnte das Ansinnen jedoch ab, was sich als vorteilhaft erweisen sollte. An Brett 7 hätte ich nämlich gegen einen etwa 9jährigen Knaben gespielt. Nix gegen Kinder – auf einem Spielplatz zum Beispiel, oder im Schwimmbad! Als Schachgegner jedoch, sind sie mir unwillkommen.

Erstens spielen sie in der Regel viel besser, als die DWZ Punkte, die sie angesammelt haben, vermuten lassen. Zweitens habe ich da eine gewisse Beißhemmung. Drittens werden sie in der Regel von über-ehrgeizigen Familienmitgliedern begleitet, sodass man von Vater, Mutter, Onkel usw. umstanden wird und auf diese Weise ein äußerst nachteiliges Karma entsteht. OK, dieser Junge wurde lediglich mit seiner Mutter, einer erfreulich zurückhaltenden Person angereist.

Wir legten los. Das Kind am Nebenbrett, das gegen Lorenz spielte, tat das auch. Der Bub hackte die Züge seiner gesamten Partie in 10 Minuten herunter. Lorenz benötigte fast 2 Stunden. Sobald Lorenz gezogen hatte, oder auch nur Anstalten machte zu ziehen, kreiste die Hand des Knaben bereits wie ein Geier über den Figuren. Der Junge stand, als ich einmal von meiner für mich nicht einfachen Partie hinüber schaute, besser. Am Schluss ging es Remis aus, weil sich das Kind keine Zeit ließ, seine bessere Stellung zum erfolgreichen Ende zu führen. Ich bewundere Lorenz ob der Ruhe, die er behielt, während das Kind aufstand und sich setzte, herum zappelte, sich offensichtlich bereits als Sieger fühlte und es wunderte mich sehr, dass Lorenz nicht um den letzten Nerv gebracht wurde.

Nach der Partie versuchte Lorenz sich freundlich mit dem Knaben zu unterhalten, was jedoch fehlschlug. Auf die Frage: „Wie lange spielst Du denn schon?“ kam zunächst nichts. Auf die Wiederholung der Frage zuckte das Kind mit den Achseln und stieß schnoddrig hervor: „Keine Ahnung“. Lorenz versuchte es weiter und schlug vor: „Ein paar Jahre werden es doch schon sein?“, worauf irgendeine genervte Kurzantwort des Kindes das Gespräch beendete.

Ich versuchte mich mit der einzigen Eröffnung, von der ich ein wenig verstehe, nämlich Gran Prix. Leider wollte ich partout meinen schwarzen Läufer nicht gegen einen Springer abtauschen und parkte ihn ungünstig auf h2, wo er vom 11. bis zum 26. Zug völlig nutzlos herumstehen sollte. Mein Gegner startete auf dem Damenflügel einen verbissenen Angriff in den eigentlich alle Figuren beider Spieler (abgesehen von meinem schwarzen Läufer) involviert wurden. Zum Glück konnte ich mich irgendwie verteidigen, aber wenn mein Gegner zwischen dem 11. und dem 37. Zug das Wort „Remis“ in den Mund genommen hätte, hätte ich seine Hand ergriffen und ihm den Arm ausgerissen. Allein, er tat es nicht.

Ich strollte zwei- oder dreimal um die Bretter, um zu eruieren, wie es denn so stünde und ob es angeraten sei, meinerseits ein Remis anzubieten. Ich wollte dazu meinen Mannschaftsführer befragen, besann mich aber eines anderen. Wie üblich, hatte er für die ersten 8 Züge eine geschlagene Stunde verbraucht. 10 Minuten vor der Zeitkontrolle zum 40. Zug hatte er noch 20 Züge zu bewerkstelligen, sodass es mir ungelegen erschien, ihn jetzt in ein Gespräch zu verwickeln. Unsere Mannschaft lag 1,5:2,5 zurück. Lorenz hatte, wie gesagt, remisiert, Geralf und Herbert hatten verloren und Bernd hatte gewonnen.

Die noch laufenden Partien kann ich während eines Mannschaftskampfes, an dem ich beteiligt bin, ohnehin nicht beurteilen. Ich laufe zwar ab und an an den anderen Brettern entlang, aber mein Hirn ist dabei im Standby-Modus. Für mehr als meine eigene Partie langt meine Schachkapazität nicht aus. Ich sehe Klötze auf schwarz-weiß gemusterten Feldern stehen und wenn ein Spieler seinem Gegner nicht deutlich mehr Klötze abgenommen hat als umgekehrt, erachte ich die Situation als „unklar“ und wandle weiter. Die Gehirnwindung, die sich bei meinem Cerebrum mit Schach befasst, darf nicht überbeansprucht werden! Manchmal erfahre ich ja etwas von anderen Spielern.
Bei diesem Mannschaftskampf z.B. unterhielten sich zwei Spieler des Gegners beim Stand von 2,5:2,5 hinter mir und einer bemerkte auf die Frage, wie es stehe: Unentschieden, aber guck‘ dir’s doch an, die anderen (seine Mannschaftskameraden) verlieren doch alle. So etwas hört man gerne… Nach dem 37. Zug konnte ich den Angriff meines Gegners entschärfen. Wir hatten nun beide noch alle Schwerfiguren und einen Springer, sowie 5 Bauern. Unsere Könige hatten die gesamte Partie völlig verwaist nach kurzen Rochaden in ihren jeweiligen Ecken hinter zwei Bauern verbracht.

Ich konnte nun erfolgreicher als mein Gegner mit einem Turm hinter seine Linien gelangen und ihn ernsthaft bedrohen. Anstatt sich zu verteidigen, schlug mein Gegner einen meiner Bauern und verlor dadurch das entscheidende Tempo, sodass ich mit einer Mattdrohung schneller war. Er warf noch einen Turm dazwischen, aber das Unheil war für ihn nicht mehr aufzuhalten und er ergab sich.

Es stand jetzt 3,5:2,5 für uns. Walter hatte mittlerweile ebenfalls gewonnen. Als ich mir ein Bier holte, brach Karsten Stärkes Gegner ebenfalls zusammen. Ich trank mein Bier aus dem Glas, was mir ironische Kritik meiner ebenfalls bereits Bier trinkenden Mannschaftskameraden Geralf und Walter einbrachte. Jörg hatte sich zum 40. Zug gerettet. Jetzt gewann er locker. Für seine Verhältnisse hat er einen recht geruhsamen Schachnachmittag verbracht.

Die Zeitnot mag einem des Wilkeschen Schachspiels unkundigen bedenklich erschienen sein, aber Jörg bekam weder einen hochroten Kopf, noch musste er sich unter seiner Kapuze verstecken. Letztere sind ernsthafte Anzeichen, dass auch Jörg die Zeitnot als solche empfindet. Wir haben 5,5:2,5 gewonnen, haben 4 von 5 bisher gespielten Runden siegreich beendet. Das ist viel mehr, als zu erwarten war.

Beim Verlassen des Spiellokals höre ich noch einen Spieler der ersten Mannschaft sagen: „Igitt, das sind ja Plastikfiguren“. – Unser Verein ist natürlich hierarchisch strukturiert. Nichtsdestotrotz spielt unsere erste Mannschaft mit Holzbrettern, Holzfiguren und Holzuhren, während das schachliche Proletariat der zweiten Mannschaft mit Plastikfiguren, knickbaren Plastikbrettern und Plastikuhren vorlieb nehmen muss. Im Geist des linksliberalen Gedankens sollte diese Diskriminierung der ausgebeuteten Schacharbeiterschaft neu überdacht werden zumal die Expropriateure der ersten Mannschaft sich derzeit nicht mit Ruhm bekleckern.:-D:-D:-D Anschließend sind wir (4 Spieler der ersten und vier Spieler der zweiten Mannschaft) noch in das Eckhaus um die Partien zu analysieren. Lobenswert, dass wenigstens die Hälfte der zweiten Mannschaft mitkam. Häufig sind die Spieler aus der zweiten Mannschaft nach dem Spiel sehr schnell verschwunden.

Euer Randolf