Spielbericht MIP II – SF III

 

Liebe Freunde des Schachsports,

ich, eines der Gründungsmitglieder von „Matt im Park“, habe am 1.3.2015 seit mehreren Jahren zum ersten Mal wieder an einem Mannschaftskampf der zweiten Mannschaft teilgenommen.

Vor meinem ersten schachlichen Auftritt

nach etwa acht Jahren habe ich etwas Lampenfieber und treffe 45 Minuten zu früh am Spielort ein. Glücklicherweise befindet sich neben dem Saalbau Gallus ein italienisches Restaurant, wo ich einen Espresso zu mir nehme. Ich werde von einem Gast angesprochen, ob ich auch zum Schach wolle. Wir kommen ins Gespräch. Nachdem ich meine Vereinszugehörigkeit preisgegeben habe, informiert mich mein Gegenüber dahingehend, dass er auch mal Mitglied „in so einem Chaotenverein war“. „Brett vor’m Kopp?“ „Nein, die Patzer, die gibt es nicht mehr“.

Ich höre mir daraufhin von einem sehr mitteilungsbedürftigen Schachspieler die diversen Vorteile eines Vereins wie den Schachfreunden verglichen mit den mannigfaltigen Nachteilen wie etwa Matt im Park an und versuche das Thema zu wechseln. Mein Gesprächspartner verlässt mich sodann, um beim Aufstellen der Figuren helfen zu können, wie es sich bei einem ordentlichen Verein gehört. Er vergisst dabei auf recht chaotische Weise eine Einkaufstüte mit Nahrungsmitteln. Da ich trotz Hang zum Chaotentum nahrungstechnisch für das restliche Wochenende gerüstet bin, laufe ich ihm hinterher und weise ihn auf sein Versäumnis hin.

Es ist jetzt 13:55 Uhr,

aber außer meinem Sohn und mir selbst ist noch kein Spieler von MiP II zu sehen. Da kommt Frank angeschlackst, muss aber erstmal fertigrauchen. Wir drei treffen punktgenau um 14 Uhr im Spielraum ein, wo sich keine weiteren Mitspieler unseres Vereins befinden. Wir rufen Jörg, unseren Mannschaftsführer an. Er hatte uns alle per Mail über das Spiellokal informiert: Saalbau Gallus, Frankenallee 111. Trotzdem befindet er selbst sich beim Saalbau Gutleut, Rottweiler Straße 35.

Frank sieht die Tatsache, dass wir erst vier Mitspieler sind als gute Nachricht an, weil wir mit 4 Spielern laut Statut wenigstens spielen können. Der gegnerische Mannschaftsführer wünscht den unsrigen zu sehen. Wir weisen auf das kleine Problem hin und kündigen das baldige Erscheinen von Jörg an. Um 14:15 ist er da und auch Geralf und Herbert befinden sich nun im Raum. Wir sind schon zu sechst. Gaspare und Eric Marchese fehlen noch. Mein Sohn beruhigt mich: „Der Gaspare kommt gern etwas später“. Frank meint: „Er hat ja auch noch 45 Minuten Zeit“, womit er darauf hinweisen will, dass die Partie erst als verloren gilt, wenn 60 Minuten auf der Uhr abgelaufen sind. Die Schachfreunde erweisen sich auch als Sportsmänner und stellen die Uhren gar nicht an, bevor wir vollzählig sind. Danke dafür!

Die Partien beginnen mit 30 minütiger Verspätung.

Mein Gegner und ich spielen flott. Ich mache im 12. Zug einen grauenhaften Fehler, der die gesamte Stellung zum Einsturz bringt und meinen Königsflügel aufreißt.Ich spiele nun nicht mehr so flott und gebe nach zwei weiteren Zügen auf. Ich kann mir aussuchen, ob ich mich matt setzen lasse oder die Dame verliere. U.U. lässt sich auch beides kombinieren. Ich bin so verdattert, dass ich einem herbeieilenden Mannschaftskollegen der Schachfreunde, der seinem siegreichen Kollegen gratulieren will, die Hand schüttele.

Nachdem ich mich gefangen habe, besteht für mich ausreichend Gelegenheit, die anderen sieben Partien zu studieren. Ich wende mich nach links zu meinem Sohn an Brett acht und sehe leider wenig Erfreuliches. Ein Qualitätsverlust (Turm/Springer) ist nicht mehr zu vermeiden und mein eigen Fleisch und Blut wirft recht flott noch zwei Bauern hinterher. Rechts von mir sieht es besser aus. Eric Marchese attackiert aus solider Stellung heraus einen isolierten Bauern des Schachfreundes auf e4. Unsere beiden jungen Spieler links und rechts von mir versorgen ihre Körper übrigens regelmäßig mit Kohlehydraten in Form von Dextro-Energen Täfelchen, Bananen und mitgebrachten Stullen. Aufgrund eines Hungerastes sollten diese Partien nicht verloren gehen.

Zwischen Herbert und seinem Gegner hat sich an Brett 5 ein zähes Ringen entwickelt. Bei Frank finde ich eine Konstellation auf dem Brett, wie ich sie bei ihm schon vor Dekaden kennengelernt habe. Die Figuren der Kontrahenten befinden sich streng in ihrer Hälfte des Spielfeldes. Franks Klötze auf den Reihen 8,7,6 und zwei ganz forsche sogar in der 5 Reihe. Beim Gegner befinden sich die Spielsteine dementsprechend in den Reihen 1-4. Jeder Spielstein, der die Demarkationslinie zwischen den Reihen 4+5 überschreitet, wird konsequent abgetauscht. Geralf steht sehr solide mit einem Mehrbauern.

Jörgs Uhr

zeigt noch 59 Minuten an und er notiert immerhin bereits seinen 12. Zug. Für die geringe Anzahl an Zügen hat sich schon viel getan: Jörg hat zwar eine Qualität verloren, aber dafür 2 Bauern mehr. Gaspare demonstriert, wie schon immer seit ich ihn kenne, bei erster Gelegenheit seine Opferbereitschaft, aber der weiße Läufer auf h7 wurde vom Gegner verschmäht. Seitdem hält Gaspare mit allen Kanonen auf den gegnerischen König. Sein Gegenüber muss sich fühlen, wie seinerzeit die Soldaten bei Verdun.

Als ich wieder zu Brett acht zurückkehre ist unsere zweite Partie bereits verloren und mein Sohn wendet seine ganze Aufmerksamkeit erst einem voluminösen Butterbrot und dann einer Kurzgeschichte von Franz Kafka zu, die er mir grinsend unter die Nase hält, weil sie den Titel „Der Dicke“ trägt. Augenscheinlich will er hier einen Bezug zu meiner Person ausgemacht haben.

Eric hat an Brett 6 den e-Bauern erlegt. es fällt ein zweiter Bauer des Gegners und dann noch viele mehr. Eric belohnt sich ebenfalls mit einem riesigen zusammengeklappten Wurstbrot. Der ihm gegenüber sitzende Schachfreund kämpft auf aussichtslosem Posten weiter. Bei Herbert wird weiter zäh gerungen. Für den Zuschauer hat die Partie etwas Bleiernes. Geralf an Brett 3 hat seinen Mehrbauern über die gesamte Partie halten können. Konsequente Leistung! Sein Gegner gibt auf, als er den Bauern verwandeln kann. Geralf eilt zum nächsten Kiosk und belohnt sich mit einem Bier.

Franks Stellung

ist mittlerweile leider zusammengebrochen. Er kämpft auf aussichtslosem Posten mit einem Turm und einem Springer, sowie zwei Bauern gegen zwei Türme und vier Bauern. Er hat aber die Chuzpe, seinem verdutzten Gegner, der offensichtlich eher mit einer Kapitulation gerechnet hatte, ein Remis anzubieten. Der Gegner lässt seine Blicke über das recht übersichtliche Brett wandern, ob er vielleicht eine Leichtfigur oder eine Bauernphalanx von Frank übersehen hat. Als er diese Figuren nicht finden kann, lehnt er das Remis ab. Frank wirft solch sehnsüchtige Blicke auf Geralfs Flasche Bier, dass sich der Letztgenannte wortlos entfernt und alsbald mit einer weiteren Flasche Gerstensaft für Frank zurückkehrt. Das Getränk ist bereits mundfertig geöffnet. Das nenne ich Unterstützung von Mannschaftskameraden. Da kann die Kindermannschaft von Bad Homburg, die im gleichen Raum wie wir spielen, noch etwas lernen! Leider kann Frank trotz des Genusses seines Lieblingsgetränkes auf dem Brett kein Wunder veranlassen. Er springt noch ein wenig mit seinem Pferdchen umher, wahrscheinlich in der
Hoffnung auf irgendeine Gabel. Als jedoch sein Gegner einen Turmtausch mit anschließender Opferung seines zweiten Turmes anbietet, um dadurch einen seiner Bauern uneinholbar verwandeln zu können, gibt Frank sowohl Springergehüpfe als auch Partie auf und tröstet sich mit seinem Bier.

An dieser Stelle ein kurzer Einschub

, der mit den Partien selbst nichts zu tun hat: Frank war rührig und hat nun bereits zum zweiten Mal den Bruder seiner Freundin mitgebracht, der starkes Interesse daran bekundet, dem Verein beizutreten und am Vereinsleben teilzunehmen. Leider wurde dieser Mensch mit Namen Peter, nachdem ihn Frank vorgestellt hat, beide Male vollkommen ignoriert, was möglicherweise sein Interesse an unserem Verein abkühlen könnte. Ich war im Anschluss an den Mannschaftskampf mit Frank, seiner Freundin Eva, meinem Sohn und besagtem Peter italienisch essen und kann bezeugen, dass es sich um einen netten, mit den mitteleuropäischen sozialen Umgangsformen vertrauten Menschen handelt, der den Eindruck erweckt, seinen Mitgliedsbeitrag pünktlich zu entrichten. Falls dieser Mann einen dritten Anlauf wagen sollte, würde ich dafür plädieren, ihm ein wenig Aufmerksamkeit und vielleicht sogar einen Aufnahmeantrag zukommen zu lassen.

Zurück an die Bretter:

Gaspares Haubitzenkanonade hat den Gegner nach mehr als 40 Zügen zermürbt und sturmreif geschossen. Nachdem er die Partie aufgegeben hat,
verlangt er dem sichtlich genervten Gaspare noch einiges an Geduld ab,indem er ihm vor der Türe einen längeren Vortrag über Schach in der Lyrik hält und dem offensichtlich nicht interessierten Italiener einige Werke dieses Metiers zum Ausleihen anbietet. Es steht jetzt 3:3.

Zwischenzeitlich gab es noch die mir ebenfalls noch aus früheren Mannschaftskämpfen bekannte Zeitnoteinlage von Jörg. Er hat noch 12 Minuten auf der Uhr und noch 20 Züge vor sich. Er hat einen knallroten Kopf. Schachspieler mit Herz-Kreislaufproblemen sollten sich die letzten 10 Minuten einer Partie von Jörg vor der Zeitkontrolle des 40. Zuges (also die Züge 20-40) auf keinen Fall zu Gemüte führen. Es besteht für diese Personen akute Lebensgefahr.

Als Jörgs Uhr noch 1:58 anzeigt

und noch 10 Züge zu vollbringen sind, frage ich Jörg mit gepresster Stimme, ob ich für ihn die Züge notieren soll. Der Rotkopf antwortet, „es gehe schon, er habe noch genügend Zeit“. Da waren es nur noch 1:50 auf der Uhr. Als Jörg den 40. Zug macht, zeigt die Uhr noch satte 16 verschenkte Sekunden an. Wenn Jörg die ersten 40 Züge über die Zeit bringt (was nicht immer gelingt) ist allerdings normalerweise alles gut vorbereitet und man kann mit einem Sieg rechnen.

Die oben bereits erwähnte Gruppe (Frank, Eva, Peter, Valentin und meine Wenigkeit) machte sich nun aus dem Staube, um Eva nicht noch länger langweilen zu müssen. Eva saß brav auf einem Stuhl und rezipierte die bis hier beschriebenen Aktivitäten auf weibliche Weise, was sie mit „entsetzlich langweilig“ kommentieren sollte. Für sie saßen sich hier 16 Männer gegenüber, die äußerst selten einen Spielstein verrückten und dabei nichts sprachen. Wundersamerweise verließ manchmal ein Spieler seinen Partner für längere Zeit, ohne das der andere daran Anstoß genommen hätte. Eigentlich geschah über Stunden nichts, weshalb sich Eva zu einem Kaffee entfernte, um, nachdem sie eine Stunde weg war und befürchtete, nach Ende der Veranstaltung zurückzukehren, eine völlig unverändertes Bild vorzufinden. Ich versuchte, ihr die vergleichbare Rasanz unserer Veranstaltung begreiflich zu machen, indem ich ihr das Fernschach beschrieb, bei welchem ja früher die Züge noch auf dem Postweg übermittelt wurden. Ich berichtete ihr davon, dass bei der 10. Fernschacholympiade (1987 – 1995) das Kuriosum zu bestaunen war, dass sowohl die Siegernation (UDSSR), als auch die drittplazierte Nation (DDR) seit mehreren Jahren nicht mehr existierten. Ich glaube aber, mein Ziel, das darin bestand meiner Zuhörerin die Schnelligkeit unserer Mannschaftskämpfe (die ja – siehe Jörg – häufig von Zeitnot gekennzeichnet sind) zu verdeutlichen, nicht erreicht zu haben.

Als wir das Gebäude Saalbau Gallus verlassen, hat Herbert bei seinem zähen Ringen einen Bauern eingebüßt und wird letztendlich seine Partie verlieren. Unser Mannschaftsführer kann mit dem e-Bauern die gegnerische Verteidigung durchbrechen und ihn verwandeln, was die Partie zu seinen Gunsten entscheidet. 4:4 – wir sind zufrieden.

Euer Randolf